top of page

Rocco und der zyklische Misanthrop

Es gibt Regelmäßigkeiten im alltäglichen Leben, auf die freut man sich immer wieder aufs Neue wie ein Seepferdchen. Feiertage. Zumba-Kurse. Ferienanfang. Ferienende. Der nächste Urlaub usw. Und egal, wie oft man diese Wiederholungen bereits durchlebt hat, sie sind doch immer ein bisschen anders. Ich denke, genau aus diesem Grund freut man sich auch auf das nächste Mal.Mein wöchentliches Highlight ist der montägliche Jour fixe mit meiner Tochter.


Eine liebe Freundin attestierte mir einst, sie sei wohl die einzig wahre große Liebe meines Lebens. Ich denke häufig darüber nach, ob sie wohl recht hat. Und was das für mich bedeutet. Muss ich allein sterben? Bin ich so kaputt, dass ich keine Frau wirklich lieben kann? Hat Javier Bardem alias Juan Antonio in Woody Allens Vicky Cristina Barcelona recht, als er sagt: „Nur unerfüllte Liebe kann romantisch sein“?


Ich denke, diese Frage kostet mich wieder zwei Therapiesitzungen, um zu verstehen, ob ich aus diesem Grund ab und an auf hart-schnulzige Romantik stehe. Das würde aber bedeuten, doch nie erfüllt zu sein.Und doch komme ich irgendwie ganz gut klar. Vielleicht hat Liebe oft nicht unbedingt etwas mit Romantik zu tun. So könnte man sein schnarchendes Nebenan oft in die Verdammnis schicken, weil es einen nicht schlafen lässt – und doch finden wir es irgendwie süß, denn es gehört zu dem Menschen, den man liebt. Die pure Tatsache, dass wir uns immer wieder aufs Neue neben diese Person schlafen legen – was absolut nichts mit Romantik zu tun hat – ist aber doch der Beweis, dass man es gerne macht.


So schrieb mir vor unserem letzten Treffen das geliebte Kind, dass sie den Nachmittag nicht mit mir verbringen könne, weil ihr (O-Ton) „scheiß Zyklus“ vier Tage zu früh eingesetzt habe und sie von schmerzhaften Begleiterscheinungen geplagt sei. Genau das ist jeden Monat der Moment, wo ich genau weiß: Ich habe selbst als weiser alter Vater nur noch bedingt beruhigenden Einfluss auf meine Tochter – und ich hab gefälligst zu funktionieren. Die totale Machtumkehr.


„Natürlich gehen wir noch einkaufen“, schrieb ich.


„Ja, und danach fahre ich dich direkt nach Hause, schon ok.“Autsch. „Schon ok??“


Schwerer Fehler.„Was soll daran nicht ok sein?“ fauchte sie mich an.„Ich hab Schmerzen!


Daran ist überhaupt nichts ok …“, ging es weiter im Text.


Ein zaghaftes Angebot, ihr einen Link zu Menstruationsunterwäsche zu schicken, den mir eine liebe Freundin empfohlen hatte, begrub sie mit:


„Vater, hör auf! Das ist eklig und sieht scheiße aus.“


Im Supermarkt stand ich völlig fehl am Platz, machtlos wie einst bei der Entbindung – einfach nur dumm in der Gegend rum – und sah, wie sie jeden, wirklich jeden mit einem falschen Lächeln angrinste und einem Blick wie Carrie, kurz bevor sie die Turnhalle in Brand steckte. Sie hasste alles und jeden. Ich, der seinen Teil dazu beigetragen hat, ihr das Leben zu schenken, hatte das Gefühl, schuld an ihrer Verwandlung in eine misanthropische Ausgeburt der Hölle zu sein.


Ein armer Azubi oder Prakti ging zwischen den Regalen an ihr vorbei. Sie fühlte sich beobachtet und gab ihm kraft ihrer Blicke zu verstehen:


„Ich bin keine Aussätzige, du Wicht! Das Ei, dem du entsprungen bist, wäre als blutender Menstruationsausfluss mit Regelschmerzen hilfreicher für die Welt gewesen.“


Der arme Kerl schlich mit hängenden Schultern an mir vorbei, den Blick nach unten gesenkt, als hätte er gehört, was sie dachte.Sie sah mich an. Mein Atem stockte für einen kurzen Augenblick – wohl wissend um meinen ersten Fauxpas mit der Menstruationswäsche. Sie sah mir meine Verunsicherung wohl an, musste lachen und sagte nur:


„Ist doch wahr, verdammte Scheiße. Jeden Monat dasselbe.


Ich war erleichtert und erwiderte: „Ja, Tochter. Jeden Monat dasselbe.“


„Bin ich wirklich so schlimm?“, fragte sie.


„Hmmm… lass mal nachdenken… Du hasst alles und jeden. Und würdest am liebsten alles niederbrennen. Ja, bist du.“


„Wieso holst du mich dann ab und erträgst meine satanisch wirkende Aura?“


„Weil Liebe halt nicht immer nur Friede, Freude und Romantik ist, Tochter.“


„Liebe ist ganzheitlich. Würde ich nur deine frohsinnige Gesellschaft lieben und nicht für dich da sein wenn du ungerechterweise jeden Monat leidest, wäre das nur die Hälfte. Und ich wäre nicht erfüllt, Tochter. Und wenn du – unter Unterleibskrämpfen und einsetzender Migräne – immer noch lächeln würdest, als würde es dir nichts anhaben, dann bekäme ich wirklich Angst."


Sie lehnte sich schwer an mich, als wir den Supermarkt verließen – die Einkaufstasche in der einen, ihre Würde in der anderen Hand. Ich sagte nichts. Ich war einfach da. Und während sie auf dem Beifahrersitz mit einem genervten Seufzen die Augen schloss, dachte ich:


Vielleicht hat Javier ja doch nicht recht mit der unerfüllten Liebe und der Romantik.


Denn wenn zwei Menschen sich mit all ihren sentimentalen Zuständen des Gefühlsreichtums – vielleicht sogar mit Sehnsucht – ganzheitlich lieben, schätzen, achten und füreinander da sind …wenn man bleibt, auch wenn die Turnhalle brennt …Dann kann – um es mit den Worten meiner Tochter zu sagen – erfüllte Liebe aber mal scheiße romantisch sein.


Rocco und Tochter Ende;)

 
 
 

Comments


bottom of page