Alles scheiße, deine Erna.
- Rocco Sofra
- 12. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Alles scheiße, deine Erna.
Liebe optimistische Pessimistinnen,
liebe Lachende,
liebe Grantlerinnen,
manches zieht sich wie ein roter Faden durchs Leben. Ironischerweise nehmen wir diesen roten Faden oft als negativ wahr. Chronisch pleite, immer nur die Nummer zwei, das wird eh nichts, kann ich nicht einfach mal Glück haben – und überhaupt:
Alles scheiße, deine Erna.
Therapeut*innen würden das als Pessimismus einstufen, Psycholog*innen als Depression – und Sigmund Freud würde wahrscheinlich die Mutter verantwortlich machen.
Doch worum geht es eigentlich? Luxusprobleme? Die eigene Unzufriedenheit mit sich selbst? Oder einfach nur eine tiefe Frustration darüber, nicht das zu haben, was man sich wünscht – ohne zu sehen, was man längst hat?
Aus der Sicht eines syrischen Waisenkinds ist es wahrscheinlich eine Mischung aus allem und noch viel mehr.
Dabei lähmt diese latente Unzufriedenheit oft unser Handeln und trübt unseren Blick für das Schöne, das uns im Leben begegnet.
Natürlich ist nicht alles immer „topsti“ und toll im Leben. Natürlich darf und muss man trauern, weinen und auch mal richtig scheiße drauf sein. Aber sein Lachen sollte man trotzdem nicht verlieren.
Ich bin der Meinung:
Glücklichsein ist ein aktiver Akt.
Und vielleicht ist es auch eine Frage der Perspektive. Der sogenannte Rosenthal-Effekt sagt:
Wenn du Fehler erwartest, wirst du sie finden. Wenn du glaubst, es wird scheiße – wird es meistens auch scheiße.
Unsere Erwartungen formen unsere Wahrnehmung.
Und manchmal auch unser Leben.
Stereotype Vorurteile, entstanden aus schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit, sollten genau da bleiben – in der Vergangenheit.
Denn wenn wir sie in die Gegenwart schleppen, erzeugen sie oft genau die schlechten Erwartungen, die wir eigentlich vermeiden wollen.
Sie zerstören, was eigentlich gut ist. Sie nehmen dem Neuen die Chance, sich überhaupt zu zeigen.
Und vielleicht ist das das Traurigste:
Dass wir aus Angst vor Enttäuschung gar nicht mehr zulassen, überrascht zu werden.
Noch perfider wird es, wenn alte Wunden durch neue Situationen getriggert werden.
Dann reagieren wir nicht auf das Jetzt, sondern auf ein Damals.
Und plötzlich handeln wir bescheuert wie ein beleidigtes Kind – irrational, impulsiv, manchmal sogar destruktiv.
Nur weil etwas uns unbewusst zurückkatapultiert hat.
Und schon ist das nächste Drama geboren, das eigentlich gar keins sein müsste.
Ich denke einfach, dass die ewige Suche nach sich selbst, nach einem vermeintlich besseren Leben, nach einem glücklicheren Dasein nie aufhört.
Wie solltest du auch irgendetwas Positives sehen, wenn du nichts Positives erwartest?
Durch die Sehnsucht nach mehr Glück kann das Jetzt gar nicht als Glück empfunden werden.
Ich hatte das Glück, im zweiten Jahr der neunten Klasse die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll zu lesen.
Eines der wenigen Dinge, die ich im Leben wirklich gelesen habe.
Frau R. – die einzige Lehrerin, die ich in meiner Jugend jemals scharf fand – gab mir diese Geschichte für eine Interpretation.
Mein Referat war kurz:
„Glück ist, was ihr draus macht. Und Glück ist ein aktiver Akt.“
Der Fischer ruht in sich, ist zufrieden und glücklich. Einfach so. Ohne getriben zu sein von der Welt die nach "mehr", nach "besser", nach "weiter" ruft. Ohne die ständige Jagd nach dem vermeintlich noch glücklicheren oder zufriedeneren Leben.
Er ist – und das genügt.
Diese Geschichte hat mich nachhaltig geprägt.
Das Leben ist nicht fair oder toll – im Gegenteil, oft ist es sogar ziemlich beschissen. Und trotzdem ist es wundervoll.
Weil es unvorhersehbar ist.
Weil es einem immer wieder überraschende Wendungen schenkt:
Jemanden kennenzulernen, der einem eine völlig neue Sicht auf das Leben zeigt.
Sich neu zu definieren. Neue Interessen zu entdecken.
Sich selbst und seine Persönlichkeit immer wieder neu zu erforschen.
Oder ein scheiß Mischpult, das exakt 15 Minuten vor Einlass ausfällt und dann doch wieder seinen Dienst aufnimmt.
Ein neuer Job.
Ein Team, das meine drohende Kernschmelze wegen dem scheiß Mischpult im Le Swing durch bloße Anwesenheit abwendet.
Menschen, die füreinander da sind, einander auffangen, Fehler verzeihen (vor allem meine).
Und Gäste, die jeden Abend zu etwas Besonderem machen.
Für diese kleinen, stillen, manchmal auch lauten Glücksmomente nehme ich diese Satire, die sich Leben nennt, gern in Kauf.
Denn wenn wir aufhören, füreinander da zu sein, haben wir aufgehört zu sein.
Und dann ist Glück nur noch eine sinnlose Aneinanderreihung von Buchstaben,
die sich wie ein roter Faden durch unser Leben zieht.
Rocco. Ende. ❤️
Und Danke an das wundervollste Team der Welt:
Ela, M&M’s, Andrea, Doreen, Française, Sunny - und natürlich der unrasierte Typ mit der Brille und den Hupen.
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